7. April 1994 – Ein Tag wie jeder andere. Fast.
Memphis, Tennessee. Auf dem Rollfeld steht eine McDonnell Douglas DC-10 bereit für einen Routineflug von Memphis nach San Jose, Kalifornien. Für die drei erfahrenen Crewmitglieder – Captain David Sanders, First Officer James Tucker und Flight Engineer Andrew Peterson – ist es ein normaler Arbeitstag. Routine, eingespielt, eingetragen.
Doch an diesem Tag gibt es einen zusätzlichen Passagier: Auburn R. Calloway, selbst FedEx-Flugingenieur, fliegt als sogenannter „Jumpseat“-Gast mit – eine interne Regelung, bei der Mitarbeiter bei Platzverfügbarkeit auf dem Cockpit-Zusatzsitz mitreisen dürfen.
Was niemand ahnt: Calloway ist nicht gekommen, um zu fliegen.
Ein Koffer, der mehr als nur Saiten enthält
Schon beim Einsteigen bemerkt Peterson den auffälligen Gitarrenkoffer, den Calloway mit sich führt. Auf Nachfrage antwortet er ausweichend – angeblich sei es sein Musikinstrument.
Was sich später als eine improvisierte Waffensammlung entpuppt:
- Zwei schwere Hämmer
- Zwei Vorschlaghämmer
- Eine Harpune
- Nägel und Bargeld
Calloways Plan ist ebenso verstörend wie präzise: Er will die gesamte Crew töten, das Flugzeug in das FedEx-Hauptquartier in Memphis stürzen lassen, den Absturz wie einen Unfall aussehen lassen – und so der Lebensversicherung seiner Arbeitgeber einen Millionenbetrag entlocken.
Ein Verzweiflungsakt, motiviert durch persönliche Krisen und die Angst, seine Karriere bei FedEx zu verlieren.
Der Moment, in dem alles kippt
Etwa 25 Minuten nach dem Start, in einer Flughöhe von rund 10.000 Metern, betritt Calloway plötzlich das Cockpit. Ohne Vorwarnung schlägt er mit voller Wucht auf Flight Engineer Andrew Peterson ein. Sekunden später attackiert er auch Tucker und Captain Sanders.
Alle drei Piloten erleiden schwere Kopfverletzungen, Brüche, tiefe Schnittwunden. Doch sie geben nicht auf. Verletzt, blutüberströmt, halb bewusstlos – aber wachsam.
Der Himmel wird zur Kampfzone
Was dann folgt, ist ein verzweifelter Kampf in 11.000 Metern Höhe. Während Calloway immer wieder versucht, das Cockpit zu übernehmen, stemmen sich die schwer verletzten Piloten gegen ihn. Ein Mann gegen drei – doch sie wissen: Wenn sie verlieren, sterben nicht nur sie selbst, sondern möglicherweise Hunderte von Menschen auf dem Boden.
Captain Sanders übernimmt das Steuer – obwohl er kaum noch sehen kann. Um Calloway aus dem Gleichgewicht zu bringen, fliegt er extreme Flugmanöver: Steilkurven, abrupte Sturzflüge, aggressive Rollen. Das schwere Frachtflugzeug wird an die Grenzen seiner strukturellen Belastung geführt.
Die DC-10 erreicht Geschwindigkeiten, die gefährlich nah an die Zerreißgrenze der Tragflächen heranreichen. In normalen Flugstunden wäre das unzulässig – hier wird es zur Überlebensstrategie.
Eine Notlandung, die alles übertrifft
Nach einem beinahe surrealen Luftkampf gelingt das Unglaubliche: Captain Sanders bringt die Maschine trotz enormer Schäden sicher zurück nach Memphis. Das Cockpit ist ein Schlachtfeld: zerschmetterte Instrumente, Blutspuren, verletzte Körper – aber alle leben.
Calloway wird festgenommen, die Crew kommt ins Krankenhaus – jeder Einzelne mit lebensgefährlichen Verletzungen. Doch was sie geleistet haben, geht weit über ihre Dienstpflicht hinaus.
Das juristische und menschliche Nachspiel
Calloway wird in einem hochkarätigen Prozess des versuchten Mordes und Flugzeugdiebstahls angeklagt. Er gibt an, in einer persönlichen und finanziellen Ausweglosigkeit gehandelt zu haben. Das Gericht zeigt kein Verständnis: Er wird zu zweimal lebenslanger Haft plus 20 Jahre verurteilt – ohne Möglichkeit auf Bewährung.
Die drei Piloten überleben – körperlich schwer gezeichnet, psychisch geprägt. Keine*r von ihnen fliegt je wieder beruflich. Doch ihre Geschichte verbindet sie für immer.
Am 26. Mai 1994 werden Sanders, Tucker und Peterson mit der Goldmedaille für Heldentum der Airline Pilots Association ausgezeichnet – die höchste zivile Auszeichnung, die ein Pilot erhalten kann.
Was wir aus diesem Fall lernen können
Der Vorfall auf FedEx Flug 705 ist einer der außergewöhnlichsten Entführungsversuche der Luftfahrtgeschichte. Und er zeigt:
- Wie schnell Routine zur Extremsituation werden kann
- Wie wichtig mentale Stärke und Teamgeist im Cockpit sind
- Dass Mut und Entschlossenheit manchmal den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen
Die drei Crewmitglieder handelten nicht nur als Profis, sondern als Menschen, die sich weigerten, aufzugeben. Sie retteten nicht nur sich selbst – sie verhinderten auch eine Katastrophe, die FedEx, Memphis und zahllose Leben hätte treffen können.
Ein Kapitel Luftfahrtgeschichte, das nicht vergessen werden darf
Heute wird der Fall FedEx 705 in Flugschulen, Sicherheitsseminaren und Notfalltrainings weltweit analysiert. Die Ereignisse zeigen eindrücklich, wie wichtig es ist, auf das Unvorstellbare vorbereitet zu sein – und dass selbst unter extremsten Bedingungen Hoffnung und Handlungsfähigkeit möglich bleiben.