An Bord von Air Koryo: Eine Reise durch die Lüfte – und durch ein System, das kaum jemand kennt

Blick aus einem Flugzeugfenster auf eine landende Air-Koryo-Maschine im Sonnenuntergang – Sinnbild für seltene Eindrücke.

Ein Flugticket, das mehr ist als nur eine Reise. Es ist ein Blick hinter Mauern, durch Rauchschwaden und Propagandawolken – hinein in eine Welt, die sich dem Blick der Außenwelt weitgehend entzieht. Willkommen an Bord von Air Koryo.

Der Anfang einer ungewöhnlichen Reise

Es beginnt in Peking. Der internationale Flughafen ist geschäftig, modern – ein Drehkreuz in alle Richtungen. Doch dein Ziel liegt nicht auf den üblichen Touristenrouten. Dein Ziel ist Pjöngjang, Hauptstadt eines der isoliertesten Staaten der Welt: Nordkorea.

Du stehst am Gate, bereit zum Boarding. Über dem Eingang: der Schriftzug Air Koryo, begleitet von nordkoreanischen Flaggen. Es fühlt sich nicht an wie der Beginn eines gewöhnlichen Fluges. Eher wie der Eintritt in eine andere Realität.

Air Koryo: Die Fluggesellschaft der anderen Art

Air Koryo ist nicht einfach nur eine Airline. Sie ist ein Symbol – für Isolation, für Kontrolle, für ein System, das noch im Kalten Krieg zu verharren scheint. Gegründet 1955 als „Choson Minhang“, gilt sie heute als die einzige staatliche Fluggesellschaft Nordkoreas.

Die Flotte? Überwiegend sowjetische Modelle, teilweise seit mehr als vier Jahrzehnten im Einsatz. Einige stammen noch aus der Zeit der DDR – Ilyushin, Tupolew, Antonow. Flugzeuge, die andernorts längst in Museen stehen würden, fliegen hier noch regelmäßig zwischen Pjöngjang und den wenigen internationalen Zielen.

Aktuelle Flugziele:

  • International: Peking, Shanghai, Shenyang, gelegentlich Wladiwostok
  • Inland: Wonsan, Hamhung, Chongjin, Pektusan

Doch selbst diese wenigen Routen sind nicht garantiert. Die Flugfrequenz hängt stark von politischen Vorgaben, Wetterbedingungen – und internationalen Sanktionen ab.

Einsteigen, anschnallen – und abtauchen in eine andere Welt

Kaum hast du deinen Platz eingenommen, beginnt das Erlebnis. Der Innenraum ist schlicht, teilweise abgenutzt. Kein Entertainment-System, keine modernen Anzeigen. Stattdessen flimmert ein Bildschirm mit staatlicher Propaganda. Laut, heroisch, unübersehbar.

Stewardessen, streng uniformiert und makellos frisiert, verteilen die „Pyongyang Times“ – auf Englisch, voller Lobpreisungen der Regierung. Fotografieren ist nicht erlaubt. Fragen sind unerwünscht. Der Flug wird zur Bühne. Jeder Moment inszeniert, jeder Blick überwacht.

Das Essen? Ein Burger, trocken und ungewohnt. Dazu ein Softdrink der Marke „R-Kyro“ – eine Eigenproduktion aus Pjöngjang, deren Inhaltsstoffe selbst Vielflieger rätseln lassen.

Sicherheit? Ein fragiles Versprechen

Seit Jahren steht Air Koryo auf der Flugverbotsliste der EU. Der Grund: gravierende Sicherheitsbedenken. Die alten Maschinen erfüllen nicht mehr die internationalen Standards. Ersatzteile sind schwer zu beschaffen, Wartung erfolgt nach eigenen Regeln – wenn überhaupt.

Berichte über Zwischenfälle kursieren seit Jahren:

  • Kabinen, die sich plötzlich mit Dampf füllen.
  • Instrumente, die während des Fluges ausfallen.
  • Kommunikationssysteme, die nur eingeschränkt funktionieren.

Doch was offiziell gemeldet wird, ist nur ein Bruchteil. Experten vermuten: Besonders bei Inlandsflügen gibt es eine hohe Dunkelziffer nicht dokumentierter Vorfälle. Die Maschinen sind dort oft noch älter, die Wartung noch lückenhafter.

Chamai 1 und die Elite der Lüfte

Interessanterweise nutzt auch die politische Elite Nordkoreas Air Koryo – zumindest offiziell. Diktator Kim Jong-Un selbst fliegt mit einer speziell umgebauten Ilyushin-62, intern „Chamai 1“ genannt – „Die Nummer 1 Schönheit“.

Doch auch er soll in den letzten Jahren immer wieder auf chinesische Airlines ausgewichen sein. Der Grund? Internationale Sanktionen verhindern den Erwerb moderner Flugzeuge. Ersatzteile westlicher Herkunft sind kaum noch erhältlich, die Flotte altert – und die Technik gerät zunehmend an ihre Grenzen.

Warum trotzdem fliegen Menschen mit Air Koryo?

Die Antwort ist so einfach wie komplex: Weil es kaum Alternativen gibt.

Für Touristen, Diplomaten, humanitäre Helfer oder Geschäftsreisende ist Air Koryo oft die einzige Option. Der Flugpreis? Rund 200 € ab Peking – direkt buchbar über eine schlicht gehaltene Website.

Dort gibt es keine Komfort-Extras, keine Sitzplatzwahl, keine moderne Zahlungsabwicklung. Nur das Wesentliche – so wie alles in Nordkorea.

Zwischen Nostalgie und Nervenkitzel

Ein Flug mit Air Koryo ist kein gewöhnliches Reiseerlebnis. Er ist ein Zeugnis einer vergangenen Epoche, eingefroren in der Gegenwart. Für manche ist es der Nervenkitzel, für andere die Neugier. Für einige ein beruflicher Auftrag. Doch alle, die an Bord steigen, erleben einen Flug, der sie nachdenklich zurücklässt.

Denn mehr noch als der Flug selbst ist es die Atmosphäre, die hängen bleibt: das Gefühl, beobachtet zu werden. Die ständige Präsenz staatlicher Botschaften. Die technische Unsicherheit. Und der Eindruck, dass hier nicht nur Menschen, sondern auch Ideologien transportiert werden.

Zukunft oder Sackgasse?

Wie lange Air Koryo unter diesen Bedingungen noch fliegen kann, ist offen. Ohne politische Öffnung, ohne technischen Fortschritt wird es schwer sein, die Flotte aufrechtzuerhalten. Eine Modernisierung wäre frühestens in den 2030er Jahren realistisch – falls überhaupt.

Bis dahin bleibt die Airline ein fliegendes Symbol für ein System, das sich der Welt nur unter strengen Auflagen zeigt.

Eine Reise, die mehr ist als ein Flug

Wer sich auf den Weg mit Air Koryo macht, begibt sich nicht nur auf einen Flug – sondern auf eine Reise durch die ideologischen und logistischen Strukturen eines abgeschotteten Staates. Es ist ein Blick hinter die Kulissen eines Regimes, das selbst in der Luft jede Bewegung kontrolliert.

Ob Abenteuer, Pflicht oder Neugier: Der Flug mit Air Koryo ist eine Erfahrung, die bleibt – und Fragen aufwirft, die weit über das Fliegen hinausgehen.

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